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DER GEFÄHRLICHSTE ORT, Island 2017

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Es war ein kalter Winterabend im Jahr 1973. Eyrún Sæmundsdóttir strickte gerade in ihrem Schlafzimmer einen Wollpulli, als sie aus dem Fenster blickte und sah, wie ein US Navy Flugzeug vom Himmel fiel und hinter ihrer Farm im Süden Islands abstürzte. Bis heute liegt das Flugzeugwrack an derselben Stelle auf dem nackten schwarzen Sandstrand—sein Gerippe erscheint verwahrlost wie ein postapokalyptisches Grab aus einem Sci-Fi-Szenario.

Aber seit Kurzem spielt sich etwas Merkwürdiges ab: Menschen aus aller Welt nehmen den vier Kilometer langen Weg durch eine öde Lavawüste auf sich, um die langsam zerfallende Hülle des Flugzeugs zu besuchen. Auf der Insel, die für ihre abstrakten Landschaften, Wasserfälle und Polarlichter bekannt war, ist dieses Flugzeugwrack zum meistbesuchten, aber auch gefährlichsten Ort Islands geworden. Die selben Rettungsteams, die vor über vierzig Jahren zur Absturzstelle des Unglücksfliegers eilten, um mögliche Überlebende zu bergen, müssen inzwischen täglich ausrücken, um Touristen zu retten, die sich auf ihrem Abenteuerausflug in der isländischen Einöde verirren.

WASH YOUR SPIRIT CLEAN, Lappland 2015

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Wälder bis zum Horizont, aus denen sich Hügel wie weisse Walrücken heben. Wind, der unentwegt bläst. Und sonst? Stille. Nichts als Stille. Wer hier, 250 Kilometer nördlich des Polarkreises, in Lappland über die unendlichen Weiten der Landschaft blickt, fühlt sich am Anfang und am Ende der Welt zugleich.

Einer, der schon vor mehr als hundert Jahren über die Wildnis nachgedacht hat, war der schottisch-amerikanische Universalgelehrte John Muir. „Wash your spirit clean“, ist eines seiner bekanntesten Zitate. Lass die Zivilisation einmal hinter dir, begib dich in die unberührte Natur und wasch deinen Geist rein.

KLIMATISIERUNG OHNE STROM, Iran 2014

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Bādgire, so nennen die Perser die Türme, welche die horizontale Silhouette der iranischen Wüstenstadt Yazd durchbrechen und gegen Himmel ragen. Mit ihren in alle Himmelsrichtungen weisenden Öffnungen fangen sie den Wind ein. Sie sorgen im heißen Wüstenklima für eine angenehme Belüftung und Kühlung der Wohnräume ohne den Einsatz von elektrischer Energie. Was wie Zauberei klingt folgt den Gesetzen der Physik. Ein hoher Kamin, der Bernoulli-Effekt aus der Strömungsmechanik und die Verdunstungskälte aus der Thermodynamik sind perfekt aufeinander abgestimmt. Im Zusammenspiel aller Faktoren kann die Außenluft von 48 Grad Celsius im Gebäudeinneren um bis zu 20 Grad Celsius abgesenkt werden.

Wer jemals ein derart gekühltes Gebäude aus der prallen Hitze kommend betreten hat, weiß es dankbar zu schätzen, welchen Dienst die Bādgire den Menschen dieser Breiten erweisen. Für die technische Funktionalität, die durch die Konstruktion der Windtürme gewährleistet wird, spielt das kostbare Element Wasser die wichtigste Rolle. Das verdunstende Wasser erhöht die Luftfeuchtigkeit, ein erster Schritt hin zum Mikroklima. Die Wüstenwinde erzeugen an den windabgewandten Seiten der Türme den notwendigen Unterdruck. Dieser saugt die warmen Luftschichten aus dem Gebäude, die abgekühlte Luft zieht von den untersten Räumen nach. Das Haus ist ohne Energie zu verschwenden natürlich klimatisiert.

KLIMAWANDEL Gletschereis, Grönland 2013

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Endlose Eislandschaften, türkisfarbene Bäche, von der Zivilisation scheinbar unberührt. Auf der größten Insel unserer Erde schmelzen jährlich unvorstellbare 273 Milliarden Tonnen Gletschermasse ab. Eine Katastrophe sieht anders aus. Nur der schwarze Staub trübt das Bild. Ruß und Kohlestaub aus Nordamerika, Europa und China. Schwarz absorbiert Sonnenstrahlen, der Boden erwärmt sich stärker als bei sauberem Eis, das beschleunigt die bereits eingetretene Schmelze.

Beängstigend ist die Geschwindigkeit, mit der sich weltweit das Klima verändert. Als Hauptursache gilt der industriell erzeugte Treibhauseffekt. Durch das Verfeuern von fossilen Energien heizen wir den Klimawandel an. Noch nie stieg die CO2 Konzentration in der Atmosphäre so schnell an. Doch noch ist es nicht zu spät. Wenn es uns gelingt, die Temperaturerhöhung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, werden wir nicht untergehen.

DIE FARBE BLAU, Columbia Gletscher Alaska 2013

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Die Ozeane, welche über 70 Prozent des Globus bedecken, sind blau. Dies bedeutet, dass Blau die weitverbreitetste Farbe der Erde ist. Nichtsdestotrotz ist das Wasser der Meere nur blau, weil das Wasser ab ein paar Metern Tiefe aus dem Sonnenlicht fast sämtliche Farben herausfiltert. Gletschereis ist dann blau, wenn die Eiskristalle durch den Eigendruck stark komprimiert sind. Sind zuviele Lufteinschlüsse im Eis, ist es weiss oder grau.

Der Columbia Gletscher in Alaska gilt gemeinhin als das Paradebeispiel für die Auswirkungen des Klimawandels auf die Arktis. In den vergangenen 35 Jahren hat dieser ins Meer mündende Gletscher etwa die Hälfte seiner Eismasse verloren. Insgesamt gelangten dabei 140 Milliarden Tonnen Eis ins Meerwasser, was deutlich zum beobachteten Anstieg des Meeresspiegels beigetragen hat.

HOMO HOMINI LUPUS, Norwegen 2008

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Zwischen Mensch und Wolf herrschen seit Urzeiten widersprüchliche Sympathien, wie sie nur zwischen zutiefst verwandten Wesen auftreten können. Für die Jäger und Sammler der Steinzeit aber auch für die nordamerikanischen Präriebewohner war der Wolf ein spiritueller Bezugspunkt. Tatsächlich hatte der prähistorische Mensch mit dem Wolf viel gemeinsam. Beide bewohnten die gleiche biologische Nische. Im Rudel jagende Fleischfresser, welche ein hohes Maß an Kooperation und Gleichberechtigung pflegten. Beide Arten arrangierten sich.

Als dann aber die Bisons, Wollnashörner und Mammuts der Eiszeitsavanne ausgerottet waren und der Mensch begann, Tiere zu halten und Getreide anzubauen, mutierte der einstige Seelenverwandte Wolf zum Widersacher des Homo sapiens. Die Wildnis, der die Menschen eben noch selbst angehört hatten, bedrohte nun ihre Lebensgrundlage. Für die Viehhalter der kleinbäuerlichen Kulturlandschaft wurde der Wolf zum Feinbild Nummer eins. Der böse Wolf war geboren.

In den letzten Jahren findet ein Umdenken statt. Seit der Berner Konvention zur Erhaltung der wild lebenden Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume sind Wolfsrudel zurück in Europa. Umweltschützer begrüßen die Wiederansiedlung der Wölfe. Sie tragen dazu bei, die überdimensionierte Masse an Schalenwild zu dezimieren. Das hat positive Auswirkungen, speziell in der Forstwirtschaft: Jungbäume wachsen in Wolfsgebieten besser, weil Wölfe das Wild vertreiben, welches sich an den Jungpflanzen gütlich tut.

URNES Lustrafjord, Norwegen 2007

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Auf einer Landzunge, die tief in den Lustrafjord reicht, steht die älteste Holzkirche Norwegens – die Stabkirche von Urnes. Technisch gesehen, gehört sie zu den vollendeten Stabbauten. Ein Rahmengefüge, durch Steinfundamente vom feuchten Boden isoliert. Die Grundschwellen, auf denen die ganze Kirche aufbaut, ragen auf allen Seiten unter den großen Wandschwellen hervor. Diese werden an den Ecken von Säulensockeln umfasst und fest zusammengehalten. Alles greift ineinander, die Kirche ist wie ein Schiff in sich selbst stabil.

Am Nordportal der Stabkirche von Urnes findet man ein Holzrelief. Es stellt den Kampf der Hirsche und Schlangen dar, die in der Weltenesche Yggdrasil wohnen: ein Bild, das den Untergang der germanisch-heidnischen Welt symbolisiert, so wie die alten Mythen ihn prophezeiten. Im Inneren, auf dem Altar steht ein Kerzenleuchter in Form eines Wikingerschiffs, eine mittelalterliche Eisenarbeit, nicht viel jünger als die Kirche selbst. Neun Kerzen brennen darauf und symbolisieren das Christentum, das mit einem Boot nach Norwegen kam. Das Schiff der Wikinger, das auszog zum Raub und heimkehrte mit dem Licht des Christentums.

ROTE HÄUSER Falun, Schweden 2006

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Viele Reisende assoziieren mit Schweden die roten schmucken Holzhäuser, die eine heimelige Atmosphäre und das Gefühl von Wärme und Gemütlichkeit ausstrahlen. Diese Farbe ist allerdings kein Designtrend, sondern stammt aus dem Abraum des Kupferbergbaus in Falun, einem Städtchen, das im 18. Jahrhundert zwei Drittel der Kupfer Weltproduktion lieferte. Noch heute wird aus den damals angehäuften Abraumhalden der Grundstoff für die rote Farbe gewonnen.

Falunrot dürfte aufgrund des hohen, natürlichen Kieselsäuregehalts die älteste ökologische Holzschutzfarbe sein. Die Farbe ist für Außenanstriche auf Holz bestimmt und hält selbst im rauhen Klima Schwedens bis zu 10 Jahre. Bei Falunrot ist Wasser das Lösungsmittel, als Bindemittel werden Leinöl und Mehl verwendet. Die Pigmente weisen konservierende und fäulnishemmende Substanzen auf. Die Farbschicht ist nicht völlig dicht und lässt die Atmung des Holzes zu.

MASSE UND HOHLRAUM Eilean Donan Castle, Schottland 2005

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Die schottischen Burgen stehen heute wie verwitterte Felsblöcke in der Landschaft. Ihre Erscheinung ist einfach, massiv und elementar. Einzig die spärlichen, unregelmässig gesetzten und scheinbar keiner Regel folgenden Öffnungen lassen ein inneres Leben hinter der steinernen Masse erahnen.Tatsächlich sind diese unverrückbaren Steinbrocken innen hohl und deren Mantelmauern teilweise ausgehöhlt oder regelrecht ausgedünnt.

Diese versteckte Raumhaltigkeit bietet den Bewohnern Geborgenheit und Sicherheit vor der feindlichen Umgebung. Gegen aussen wird Wehrhaftigkeit demonstriert, während im Inneren die Wohnlichkeit durch eine vielfältige Raumentwicklung überrascht. Auf dieser scheinbar paradoxen Kombination, der räumlich dichtesten und effizientesten Form von Wohnen und Verteidigen, beruht der spezifische Charakter der schottischen Burgen.

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TRABUCCO ultrastabile Holzkonstruktion, 1992

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Trabucchi sind einzigartige Holzkonstruktionen, die an der Abruzzen-Küste zum Fischfang errichtet wurden. Ihre Schönheit, ihre Widerstandskraft, ihre Fragilität sind ebenso beeindruckend wie ihre konstruktive Funktionalität. Will man hohen Kräften entgegenwirken, bedient man sich oft starker Strukturen und widerstandsfähiger Materialien, die gut ausgesteift und fest im Boden verankert sind. Beim Trabucco hingegen wurde das Prinzip der Elastizität, also der Fähigkeit zur Aufnahme von Energie und zur Deformation ohne Bruchversagen, angewendet.

Zweck dieser Konstruktion ist es, ein großes rechteckiges Netz gleichmäßig horizontal abzusenken und nach einiger Zeit wieder heraufzuziehen. Je größer diese Senknetze sind, desto größer ist die Chance, zufällig vorbei schwimmende Fische zu fangen. Als Baumaterial dienten Kastanienholz, das im Bereich des Tidenhubs sehr dauerhaft ist, sowie Robinienholz, welches höchste Zugspannungen zulässt. Materialisierung und statisches Konzept führen zu höchster architektonischer Ausdruckskraft.

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